Medizin der Zukunft – wie im Jahr 2055 geheilt werden könnte

Das Ende aller Leiden? Medizin der Zukunft – wie Menschen im Jahr 2055 geheilt werden könnten Gentherapie, zielgerichtete Arzneien, RNA: Wie Biotechnologie und künstliche Intelligenz die Medizin verändern werden – ein Ausblick in das Jahr 2055. Von S. Stuck (Medizinredakteurin), K. Zinkant (Biochemikerin) • Wissenschaftliche Prüfung: Dr. Andreas Baum (Internist), 15.01.2025 Pharmazeutisch und medizinisch geprüft Die Medizin macht laufend Fortschritte – neue Technologien und Entwicklungen werden in Zukunft Diagnose und Behandlung verbessern. © W&B/Rainer Wecker Ein Tropfen Blut. Eine winzige Menge saugt die hauchdünne Nadel aus der Vene, für den Patienten kaum spürbar. Was wird der Tropfen alles über ihn erzählen? Während nebenan kleine Maschinen das Blut aufbereiten, analysieren, lesbar machen, wartet der Mann, bis die Ärztin mit einem Tablet im Arm hereinkommt. Sie begrüßt ihn freundlich und erzählt flugs von einem vorhandenen Risiko für einen Schlaganfall, von neuen Medikamenten, einer Gentherapie. „Wir könnten für nächste Woche gleich einen Termin machen“, sagt die Ärztin. Bei der Gelegenheit werde man die Blutanalyse wiederholen, denn in der Probe sei ein bislang unbekanntes Virus gefunden worden. „Das ist nicht zwingend gefährlich“, beruhigt die Medizinerin. „Aber wir sollten das im Auge behalten.“ Der medizinische Fortschritt schreitet voran Ein normaler Besuch beim Arzt? Sicherlich nicht, jedenfalls nicht in der Gegenwart. Unbekannte Viren im Blut spürt derzeit kein Routinetest auf, und eine Gentherapie bekommen nur Menschen mit einer lebensbedrohenden erblichen Erkrankung. Doch so wird es nicht bleiben: Neue Technologien verändern die Medizin. Ihre Entwicklung beschleunigt sich – und zwar so, dass niemand vorauszusagen vermag, wie die Zukunft der Medizin in 100 Jahren aussehen wird. Aber wie kann es in, sagen wir, 30 Jahren sein, 2055? Dafür lässt sich durchaus eine Vision entwerfen.Natürlich weiß niemand mit Sicherheit, welche neuen biotechnologischen Konzepte ihre Versprechen halten, welche Entwicklungen in Diagnostik und Therapie sich fortsetzen, was an Unerwartetem noch dazukommt. Aber wie der deutsche Unternehmer und Förderer der Wissenschaft, Hasso Plattner, vor wenigen Jahren schrieb: „Der medizinische Fortschritt schreitet unaufhaltsam voran.“ Worauf darf man da hoffen? Wird der Krieg gegen den Krebs gewonnen sein? Können wir Alzheimer die Stirn bieten? Werden Pandemien künftig verhindert? Haben Menschen im Jahr 2055 keine Herzinfarkte oder Schlaganfälle mehr? Gehen sie noch in eine Arztpraxis? „Charité“ im Faktencheck – wie realistisch ist Staffel vier? Die neue Staffel der ARD-Serie „Charité“ blickt in die Zukunft. Wie realistisch sind die Szenarien? zum Artikel Alle sechs Monate eine Spritze gegen hohes Cholesterin Prof. Dr. Stefanie Dimmeler, Biochemikerin, Institut für Kardiovaskuläre Regeneration, Uniklinikum Frankfurt/Main © Uwe Dettmar/Goethe-Universität Frankfurt Wir haben diese und weitere Fragen angesehenen Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen der Medizin und Forschung gestellt. Ihre Antworten und Visionen sind ermutigend, zum Teil überraschend. Was ihnen allen sehr wichtig war: Es gibt immer Anlass zu Hoffnung, gerade in Disziplinen, in denen schon jetzt Fortschritte oder sogar Durchbrüche gefeiert werden. Aber falsche Hoffnungen, auch darin sind sie sich einig, darf ein Blick in die Zukunft ebenso wenig schüren. Es geht im Folgenden also darum, Entwicklungen auszuloten – und trotzdem die Realität nicht aus dem Blick zu verlieren.Fangen wir also an. Und zwar nicht mit Krebs oder Alzheimer, jenen Krankheiten, vor denen sich die Menschen bei uns am meisten fürchten. Sondern mit dem Komplex von Leiden, die – Stand heute – die meisten Leben in unserer Mitte fordern: Erkrankungen von Herz und Gefäßen. „Hier tut sich gerade viel“, sagt Prof. Dr. Stefanie Dimmeler vom Universitätsklinikum in Frankfurt am Main. Die Gefäßspezialistin forscht zum wichtigsten Risikofaktor für Herzinfarkte und Schlaganfälle, der Atherosklerose. Die entzündliche Veränderung der Blutgefäße hängt in ihrer Entstehung eng mit erhöhten Blutfetten zusammen – insbesondere mit hohen Konzentrationen des Cholesterins LDL-C. Vermutlich werden wir in 30 Jahren nur einmal alle sechs Monate eine Spritze geben und das Blutcholesterin damit zuverlässig senken Prof. Dr. Stefanie Dimmeler, Universitätsklinikum Frankfurt am Main Die medikamentöse Therapie dieses Blutfetts ist derzeit vor allem von Tabletten abhängig, die täglich eingenommen werden müssen. Nur die Disziplin funktioniert laut Dimmeler nicht immer gut. „Vermutlich werden wir in 30 Jahren nur einmal alle sechs Monate eine Spritze geben und das Blutcholesterin damit zuverlässig senken“, sagt sie. Möglich wird das durch sogenannte small interfering RNAs, kurz siRNAs. Das sind anpassungsfähige Wirkstoffe nach biologischem Vorbild. Im Fall des Cholesterins blockieren sie ein Enzym in der Leber und sorgen so dafür, dass das Cholesterin aus dem Blut entfernt wird. RNA-Technologie: Mehr als nur eine Impfung RNA: Fast jeder hat schon einmal davon gehört, dank der neuartigen Impfungen, mit deren Hilfe die Corona-Pandemie eingedämmt werden konnte. Aber RNA, kurz für Ribonukleinsäure, kann mehr. Die relativ kurzen Moleküle dienen nicht nur als Kuriere von Erbinformation. Sie können auch Einfluss auf andere Biomoleküle nehmen, die für Krankheiten eine Rolle spielen. Manche krank machenden Enzyme etwa werden von den Zellen auf Basis der Erbinformation hergestellt. Man macht sich dann zunutze, dass spezielle RNAs diese Herstellung kontrollieren. Sie können sie etwa unterdrücken oder anschieben, je nach Therapieziel. Im Fachjargon heißen solche RNAs small interfering RNAs. RNA-Technologien sind mit Blick auf das Erbgut vollkommen sicher, denn sie verändern nicht das Genom. Gentherapie könnte hohes Cholesterin heilen Ein erstes siRNA-Medikament ist in Deutschland bereits zugelassen. Es wird eingesetzt, wenn die Cholesterinwerte mithilfe von Statinen nicht oder nur eingeschränkt sinken. Die Ergebnisse aller veröffentlichten Studien zu dieser Therapie zeigen eine hohe Wirksamkeit der siRNAs bei gleichzeitig geringen Nebenwirkungen. Doch selbst die zwei jährlich zu gebenden Spritzen könnten im Jahr 2055 womöglich schon überflüssig sein. „Der nächste Schritt ist eine Gentherapie, mit der wir das Enzym nicht blockieren, sondern dafür sorgen, dass es nicht mehr hergestellt wird“, erläutert die Forscherin. Nötig sei dafür eine sehr kleine, gezielte Änderung des zugehörigen Gens im Erbgut der Leberzellen. Wenn das funktioniert, kann so eine Gentherapie das Problem des erhöhten Cholesterins ein für alle Mal lösen, mit einer Behandlung Prof. Dr. Stefanie Dimmeler, Universitätsklinikum Frankfurt am Main „Es gibt inzwischen mehrere Ansätze eines solchen Gene Editings, die in klinischen Studien untersucht werden“, sagt Dimmeler. „Und wenn das funktioniert, kann so eine Gentherapie das Problem des erhöhten Cholesterins ein für alle Mal lösen, mit einer Behandlung.“ Mit anderen Worten: Ein zu hoher Cholesterinspiegel wäre heilbar. Und damit nicht genug: Es gibt auch erste Ansätze, um einen weiteren Risikofaktor, den Bluthochdruck, gentherapeutisch behandeln zu können. Gentherapie: Die molekulare Schere als Segen der Medizin Einen Fehler im Erbgut einfach korrigieren und Kranke dadurch heilen: Die Idee der Gentherapie ist jahrzehntealt – und fast genauso lange scheiterte sie. Bis vor rund zehn Jahren eine neue, von Bakterien abgeschaute Genschere entwickelt wurde. Crispr, kurz für Clustered Regularly Interspaced Palindromic Repeats, kann mithilfe eines Enzyms ganz präzise und gezielte Schnitte im Erbgut von Zellen vornehmen. Fehler, wie sie bei alten Gentherapien oft passierten, werden zudem durch die Wahl neuer Genfähren vermieden. Die erste Gentherapie mit Crispr, ein Meilenstein, wurde im vergangenen Jahr in den USA zugelassen. Krebsrisiko bei Gentherapie senken Aber ist es wirklich so einfach? „Wir können nicht sicher sagen, dass diese Gentherapie auch wirklich so kommen wird“, sagt Dimmeler. Bislang sei noch nicht abschließend geklärt, ob beim Eingriff ins Erbgut keine Fehler passieren, die theoretisch zu einer Entartung von Körperzellen führen könnten – und damit zu Krebs. Aber Dimmeler bleibt optimistisch: „Ich denke, wir werden in den kommenden Jahren Wege finden, die gentherapeutischen Eingriffe so scharf zu umgrenzen, nur einen Teil von Zellen zu verändern und damit auch das Risiko sehr stark zu reduzieren.“Und nicht nur neue Therapien seien ja ein Zukunftsziel, eine Vision für die nächsten 30 Jahre. Wenn es nach Stefanie Dimmeler geht, können die Menschen im Jahr 2055 – besser noch früher – routinemäßig drei Blutwerte messen lassen, die frühzeitig Hinweise auf Probleme mit dem Herz-Kreislauf-System liefern. „Blutfette, Blutdruck und einen Blutfaktor bestimmen, der Hinweise auf eine Herzmuskelschwäche gibt: Das ist einfach und kostet nicht viel“, sagt Dimmeler. „Dafür brauchen wir nicht einmal die Zukunft, wir müssen es nur umsetzen.“ Überlebenschance bei Krebs steigt weiter Prof. Dr. Michael Hallek, Internist, Centrum für Integrierte Onkologie, Uniklinikum Köln © Michael Wodak / MFK Es muss also nicht immer gleich der Griff in die Biotech-Kiste sein. Wobei gerade Fortschritte in Genetik und Immunbiologie auf vielen Feldern der Medizin die Vorzeichen geändert haben. Eines dieser Felder ist die Krebsmedizin.„Als ich zu Beginn der Neunzigerjahre angefangen habe zu arbeiten, hatten wir für die Patientinnen und Patienten durchschnittliche Überlebenschancen von 30 bis 40 Prozent“, sagt Prof. Dr. Michael Hallek vom Universitätsklinikum in Köln. „Heute liegt sie fast schon bei 60 Prozent – und in drei Jahrzehnten haben wir vielleicht eine Überlebenswahrscheinlichkeit von 80 Prozent, und zwar unabhängig von Stadium und Ausbreitung.“ Dies sei zum einen der Früherkennung, zum anderen neuen Therapiemöglichkeiten zu verdanken. ‚use strict‘; function getTopWindow() { for (var a = window; a != a.parent.window;) a = a.parent.window; return a } function executeConative(a = null, b = null, c = null, e = null) { if (typeof window === „undefined“ || typeof document === „undefined“) return !1; if (a) { window.frameElement || console.warn(„Not in iframe -> try direct“); var d = document.currentScript, g = a + „_iframe“, f = getTopWindow(), h = window.frameElement || null, m = h?.parentNode || null, k = m?.parentNode || d?.parentNode, l = f.document.createElement(„aside“); l.setAttribute(„id“, g); l.setAttribute(„style“, „width: 100%;display:block;“); h && h.setAttribute(„style“, „width:0px; height:0px; background:transparent; border:0;“); if (h) { if (!k) { console.error(„CONATIVE – Could not break out of iframe. 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Andere Formen von bösartigen Neubildungen hingegen wie die Chronische Lymphatische Leukämie (CLL), eine Form von Blutkrebs, für die Hallek ein weltweit angesehener Experte ist, hätten sich vom wahrscheinlichen Todesurteil zur einer Erkrankung gewandelt, mit der man heute fast eine normale Lebenserwartung bei hoher Lebensqualität erreiche. In drei Jahrzehnten haben wir vielleicht eine Überlebenswahrscheinlichkeit von 80 Prozent Prof. Dr. Michael Hallek, Universitätsklinikum Köln „Wir haben in internationalen Forschungskooperationen versucht, die Krankheit zu verstehen und teils zufällig neue Medikamente entdeckt; andere haben wir gezielt entwickelt“, sagt der Experte. „Eine traditionelle Chemotherapie ist bei der CLL inzwischen komplett überflüssig.“ Genetische Analysen würden Aufschluss darüber geben, wie aggressiv die Leukämie ist, entsprechend wird die Behandlung angepasst. Körperabwehr gegen Krebs stärken Funktioniert das auch für andere Krebserkrankungen? „Eine Erkenntnis ist sicherlich, dass man an mehreren Schrauben drehen muss“, sagt Hallek. Welche das sein könnten, je nach Krebsart, müsse man rigoros erforschen. Der Fortschritt, der aber gerade erst begonnen habe und in den kommenden Jahrzehnten sicher noch besser verstanden und ausgebaut werde, sei die Immuntherapie. Unsere eigene Körperabwehr ist noch lange nicht ausgeschöpft in ihrer Wirksamkeit gegen Krebs Prof. Dr. Michael Hallek, Universitätsklinikum Köln „Unsere eigene Körperabwehr ist noch lange nicht ausgeschöpft in ihrer Wirksamkeit gegen Krebs.“ Bei einigen Krebsarten, die bislang nur schlecht auf Immuntherapien ansprechen, lasse sich der Tumor durch Medikamente oder Strahlentherapie immunologisch „anwärmen“. Immuntherapien könnten dann besser wirken. Das gilt Hallek zufolge auch für künftige Impfungen gegen Krebs auf der Grundlage von RNA.Halleks Vision ist dabei weniger die hundertprozentige Heilung. Als Vorstandsmitglied der Vision Zero Initiative und als Stratege der Nationalen Dekade gegen Krebs geht es ihm vor allem darum, zu vermeiden, dass künftig noch Menschen an Krebs sterben müssen. Auch wenn sie ihn nicht loswerden. Dafür gelte es, jede Krebsart besser zu verstehen, die Evolution der Krebszellen, ihre Anpassungsstrategien nachzuvollziehen. „Für diese Forschung spielen Algorithmen, computerbasierte Systeme und künstliche Intelligenz eine entscheidende Rolle“, sagt Hallek. Immuntherapien: Die eigene Abwehr mobilisieren Checkpoint-Inhibitoren, RNA-Impfungen gegen Krebs, mit Medikamenten beladene Antikörper und CAR-Zelltherapien: Das fachchinesische Repertoire mag etwas verwirren, im Prinzip aber haben alle Immuntherapien das gleiche Ziel: Sie sollen das Immunsystem eines Erkrankten gezielt auf entartete oder kranke Zellen hetzen. Die Schrauben, an denen dafür gedreht werden kann, sind vielfältig und noch längst nicht vollständig erschlossen. Insbesondere bei einigen Krebsarten, die vom Immunsystem prinzipiell gut erkannt und bekämpft werden können, zeigen die bisher entwickelten Arzneien und Verfahren überraschende Effekte. Künstliche Intelligenz soll Wissenslücken füllen Krebs und künstliche Intelligenz – da gibt es schon Anwendungen, die Ärztinnen und Ärzte unterstützen, etwa in der Auswertung von MRT- oder CT-Aufnahmen. Die KI ist dabei noch nicht so schlau, dass sie selbst Diagnosen stellen könnte. Aber sie wird trainiert auf Muster, die sie dann oft besser erkennt als das menschliche Auge. Sprich: Arzt oder Ärztin erkennen auf dem CT nichts Auffälliges. Die KI aber schon. Und sie weist darauf hin. Dr. Manuela Benary, Bioinformatikerin, Comprehensive Cancer Center, Charité Berlin © Michel Buchmann Das ist der Anfang, und längst wird an mehr geforscht – an einer wissenden KI, die Expertise beisteuert. „Wenn wir einen Patienten mit einer bestimmten Veränderung im Tumor haben, mit bestimmten Eigenschaften, dann wollen wir von der KI wissen, ob die Tumorboards bei uns oder auf der Welt in den letzten zehn Jahren schon einmal so einen Fall besprochen haben“, sagt Dr. Manuela Benary von der Berliner Charité.Dabei gehe es nicht nur um die Therapie, sondern auch um die Ergebnisse, die in früheren Verfahren mit verschiedenen Ansätzen erzielt wurden. Was war hilfreich? Was funktionierte gar nicht? „Wir versuchen mithilfe der KI, die Lücken in unserem Wissen zu füllen“, sagt Benary. Von diesen Lücken gibt es trotz des enormen medizinischen Fortschritts noch immer viele. Wie verändert sich ein Tumor genetisch, welche Strategien entwickelt er, um Therapien und Körperabwehr zu entkommen? Welche Therapien wirken wann am besten? Benary und ihre Kolleginnen gehen diese Fragen oft spielerisch an. Sie trainieren ihre KI mit verschiedenen Daten, lassen sie auch mal gegen Ärzte antreten. „Die KI hat teilweise Antworten auf unsere Fragen gefunden, die die Ärzte nicht im Blick hatten.“ Die KI hat teilweise Antworten auf unsere Fragen gefunden, die die Ärzte nicht im Blick hatten Dr. Manuela Benary, Charité Berlin Dass eine KI im Jahr 2055 eigenständig Diagnosen stellt, erwartet die Forscherin nicht. „Aber wenn wir künftig Daten der einzelnen Patienten bekommen, kann ich mir vorstellen, dass Ärzte eine Übersicht von der KI erhalten, wenn sie einen Patienten zum ersten Mal sehen“, erklärt Benary. Die KI liefert also die MRT-Ergebnisse samt Auswertung, Links zu relevanten Publikationen, Hinweise, welche Laborwerte man sich noch einmal anschauen sollte. „Für die Anwendung müssen in nächster Zeit sinnvolle Regularien gefunden werden“, sagt Benary und seufzt leise.Künstliche Intelligenz sammelt und sortiert aber nicht nur Wissen. Sie könnte auch telefonieren. Im Grunde so ähnlich, wie sie heute schon chatten kann, nur eben mit dem Ziel, etwas über die Gesundheit des Gesprächspartners oder der Gesprächspartnerin herauszufinden. Was wieder etwas unheimlich klingt, aber für ein anderes Feld der Medizin in Zukunft womöglich eine Rolle spielt. KI und Robotik: Besser als der Mensch? Computer haben schon lange einen festen Platz im medizinischen Alltag. Wachsende Rechenleistung und neue Algorithmen ermöglichen nun, dass Computer lernen und eigene Schlussfolgerungen ziehen können. In der Medizin wird künstliche Intelligenz bereits zur Auswertung von CT-Aufnahmen genutzt. Zugleich gibt es schon heute Roboter, die – gesteuert von Fachleuten – Operationen vornehmen. Werden intelligente Computer eines Tages selbst das Skalpell führen? Sie haben zumindest das Potenzial, präziser und sicherer zu operieren als die menschliche Hand. Als wertvolle Assistenzsysteme werden sie in den kommenden Jahrzehnten in immer mehr OP-Säle einziehen. Biomarker zur Früherkennung von Alzheimer Demenzerkrankungen wie Alzheimer flößen jedem zweiten Menschen in Deutschland Angst ein. Das überrascht kaum, denn bis 2055 wird unsere Bevölkerung weiter altern und mehr Menschen werden an Demenz erkranken. Die Aussichten für eine Behandlung sind aktuell nicht gerade rosig. Zwar wird für einen kleinen Teil von Alzheimer-Patientinnen und -Patienten mit Lecanemab demnächst ein erstes Medikament auf den Markt kommen, das die Krankheit nachweislich etwas bremsen kann. Aber nicht stoppen oder gar heilen. Prof. Dr. Stefan Teipel, Psychiater, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen, Rostock © ©Sarah Rubensdörffer Der ganz große Wurf ist die Arznei also nicht – und ein anderer nicht in Sicht. Prof. Dr. Stefan Teipel vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Rostock lehnt es daher ab, allzu futuristisch zu werden. „Wir dürfen den Menschen keine falschen Hoffnungen machen“, sagt der Neuromediziner.Ein paar wenige Entwicklungen skizziert der Arzt dann aber doch: Es werde bei den beschränkten Behandlungsoptionen immer wichtiger werden, eine Demenzerkrankung möglichst früh zu erkennen – und zwar genau dann, wenn erste Symptome erkennbar werden, die oder der Betroffene aber noch nicht in einer Spezialambulanz vorstellig wird. Es muss also möglich werden, ersten Auffälligkeiten schon in der Hausarztpraxis nachzuspüren. „Wenn ein Patient wegen einer Baustelle einen Umweg von 75 Kilometern fährt oder mehrfach Termine vergisst, können einfach zu messende Biomarker im Blut künftig dabei helfen, einen Verdacht zu erhärten“, sagt Teipel. Einfach zu messende Biomarker im Blut können künftig dabei helfen, einen Verdacht zu erhärten Prof. Dr. Stefan Teipel, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen Rostock Auch KI könne dabei eine Rolle spielen. „Wir entwickeln und nutzen bereits Tablets, um Patienten zu testen. Das ist keine KI, aber ein digitaler Ansatz.“ Eine künstliche Intelligenz wäre in der Lage, allein aus dem gesprochenen Wort Hinweise abzuleiten – also durch ein Telefonat. Denn: Die Sprache von Menschen mit neurodegenerativen Veränderungen verändert sich schleichend. Gezielt wirkende Medikamente gegen Alzheimer Was aber hilft eine frühe Diagnose von Alzheimer, wenn es keine geeigneten Medikamente gibt? „Der nächste Schritt ist, dass wir die Nebenwirkungen verfügbarer Therapien senken“, sagt Teipel. Shuttle-Systeme, also molekulare Verpackungen, die ein Medikament ganz gezielt ins Gehirn bringen, sind hier ein Ansatz. „Und dann gibt es noch die anderen pathologischen Veränderungen bei Alzheimer, die von Lecanemab nicht beeinflusst werden.“ Auch hier gibt es neue Wirkstoffe, die in klinischen Studien untersucht werden. Ob sie allein oder in Kombination wirklich helfen werden, das Fortschreiten der Erkrankung deutlich zu bremsen, ist noch offen. Der nächste Schritt ist, dass wir die Nebenwirkungen verfügbarer Therapien senken Prof. Dr. Stefan Teipel, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen Rostock Teipel sieht deshalb vor allem Bedarf in der Unterstützung von Erkrankten, damit sie möglichst lange eigenständig bleiben, bei relativ hoher Lebensqualität. Der Forscher kann sich vorstellen, dass KI Alzheimererkrankten im Alltag assistiert, zum Beispiel bei der Wegfindung. Nicht, indem sie den Weg wie ein Navigationssystem vorgibt, sondern die Bewegungsmuster des Erkrankten lernt und erkennt, wenn der Kurs nicht mehr plausibel ist. „Das wäre eine Unterstützung, die die verbliebenen Fähigkeiten der Betreffenden fördert“, sagt Stefan Teipel. So könnte KI künftig Krankheiten vorhersagen Krebs, Demenz oder Herzkrankheiten frühzeitig erkennen – dabei könnte künstliche Intelligenz in Zukunft helfen. zum Artikel Laboranalyse mithilfe von künstlicher Intelligenz Wer weiß, vielleicht muss KI in 30 Jahren noch ganz andere Aufgaben übernehmen – eben weil die Gesellschaft altert. Für die Virologin Prof. Dr. Sandra Ciesek von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main ist das ein Thema. „Wir werden aufgrund des demografischen Wandels dann weniger Nachwuchs in den Laboren haben“, sagt Ciesek. Davon abgesehen sieht die bekannte Corona-Expertin auch medizinische und technische Entwicklungen, die den Umgang mit neuen Erregern im Jahr 2055 bestimmen könnten. „Ich kann mir gut vorstellen, dass wir künftig eine Probe in ein Gerät stellen und nach kurzer Zeit wissen, welche Erreger in dieser Probe drinstecken“, so Ciesek.Klingt vielleicht unspektakulär, beschreibt aber ein großes Problem in der Diagnostik: „Bisher müssen wir entscheiden, wonach in einer Probe gesucht werden soll“, erläutert die Virologin. Man fange mit zwei, drei Erregern an. Gibt es kein Ergebnis, geht die Suche weiter. „Es ist eine Stufendiagnostik aus Kostengründen“, sagt Ciesek. Dabei sei es heute schon möglich, Proben komplett genetisch zu analysieren und neben Viren auch alle Bakterien und Pilze in der Probe zu bestimmen. „Es ist aber noch teuer und dauert sehr lang. Aber das wird kommen.“ Neue Organe: Stammzellen und unser Freund, das Hausschwein Wer heute ein neues Organ benötigt, hat es schwer. So sind Nieren, die von Lebenden gespendet werden können, Mangelware. Zwei Technologien sind jedoch dabei, die Transplantationsmedizin grundlegend zu verändern. Schon jetzt lassen sich aus Stammzellen von Patientinnen und Patienten Miniorgane züchten. Außerdem ist es gelungen, die recht menschenähnlichen Organe von Hausschweinen genetisch so anzupassen, dass sie nicht mehr abgestoßen werden oder andere Probleme verursachen. Bis diese Organe in der Klinik zur Verfügung stehen werden, ist es vermutlich nur noch eine Frage von Jahren bis Jahrzehnten. Neue Mittel gegen die nächste Pandemie Prof. Dr. Sandra Ciesek, Virologin, Medizinische Virologie, Universität Frankfurt/Main © Universitätsmedizin Frankfurt/Ellen Lewis Auch in der Medikation hofft die Virologin, dass man vom „Klein-Klein“, wie sie sagt, zum Großen übergehen wird. „Wie bei Impfungen, die nicht nur vor einem Grippevirus schützen, sondern auch vor anderen respiratorischen Viren, wird bei Virustatika an Mitteln gearbeitet, die gegen ein breites Spektrum von Viren wirksam sind“, sagt Ciesek. Mit diesen Werkzeugen wären wir im Fall einer nächsten Pandemie besser aufgestellt. Dass man die weltweite Verbreitung neuer Erreger künftig verhindern kann, glaubt Ciesek nicht. „Es gibt unzählige Viren, nicht nur im Menschen, sondern auch im Tierreich, die das Potenzial haben, sich zu verändern, überzuspringen und eine Pandemie auszulösen“, sagt die Virologin. Wie bei Impfungen, die nicht nur vor einem Grippevirus schützen, sondern auch vor anderen respiratorischen Viren, wird bei Virustatika an Mitteln gearbeitet, die gegen ein breites Spektrum von Viren wirksam sind Prof. Dr. Sandra Ciesek, Goethe-Universität Frankfurt am Main Man könne diese Viren nicht alle technologisch oder medizinisch kontrollieren. Auch die Politik, die Gesellschaft und unser Lebensstil spielten dabei eine wesentliche Rolle. „Im Grunde geht es um den Gedanken, den wir ‚One Health‘ nennen“, erklärt Sandra Ciesek. Bewusst Leben, moderater Fleischkonsum, weniger Treibhausgase, weniger Armut – das alles trage dazu bei, Pandemien weniger wahrscheinlich zu machen.Die Medizin der Zukunft oder die Zukunft der Medizin hängen also nicht nur an großen Innovationen, an der Technik, die uns teils ängstigt. Auch wir können diese Zukunft mitgestalten und müssen ihr nicht passiv entgegenblicken. Und das klingt doch ermutigend. 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Online: https://www.rki.de/… (Abgerufen am 08.01.2025) Fischer von Weikersthal G: LDL-C-Reduktion: Nur zwei Spritzen pro Jahr, Pharma. Dt. Ärzteblatt: https://www.aerzteblatt.de/… (Abgerufen am 08.01.2025) Stat. Bundesamt: 15. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, nnahmen und Ergebnisse . Online: https://www.destatis.de/… (Abgerufen am 08.01.2025) Dahlkamp S: Künstliche Intelligenz im Bauchraum. Online: https://www.uke.de/… (Abgerufen am 08.01.2025) Gießelmann K: Sichelzellanämie und Beta-Thalassämie: Erste CRISPR-Gentherapie zugelassen, Medizinreport. Dt Ärzteblatt: https://www.aerzteblatt.de/… (Abgerufen am 08.01.2025) let citeNotesNodeList = document.querySelectorAll(’sup.reference‘); document.querySelectorAll(‚li.js-cite-ref‘).forEach((liItem) => { let citeRefId = liItem.getAttribute(‚data-js-cite-ref‘); let citeNoteSupElement = document.querySelector(’sup[data-cite-ref=“‚ + citeRefId + ‚“]‘); }); document.addEventListener(„DOMContentLoaded“, function(event) { let scrollToFirstOccurredCiteNoteOnCurrPage = function(e) { e.preventDefault(); let citeRefId = this.parentNode.getAttribute(„data-js-cite-ref“); let element = document.querySelector(’sup[data-cite-ref=“‚+ citeRefId +'“]‘); if (element) { element.scrollIntoView({behavior: ’smooth‘}); } }; let citeNoteLinks = document.getElementsByClassName(„js-btn-cite-to-top“); for (let i = 0; i < citeNoteLinks.length; i++) { citeNoteLinks[i].addEventListener('click', scrollToFirstOccurredCiteNoteOnCurrPage, false); } }); Passende Themen Krebs Schlaganfall Medizin Immunsystem Krankheiten

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